Vence – Erinnerungen in Farbe
Vorbei an dunkelgrünen Palmenwedeln, die fast ins Fenster ragten, konnte ich den Blick über einen romantischen, leicht verwilderten Garten hinunter ins Tal schweifen lassen um dann auf der anderen Seite den Berg zu erklimmen, auf dem die Altstadt von Vence mit ihren sandsteinfarbenen Mauern thronte. Als ich den Fensterflügel öffnete, dessen Farbe in etwa einer Mischung aus lichtem Ocker, Krapplack und Weiß entsprach, wie ich später feststellte, strömte leichter Lavendelduft aus dem Garten herauf. Grün in allen Variationen lag wie ein Teppich ausgebreitet zu meinen Füßen. Ich dachte an Matisse und stellte mir vor, wie er von 1943 bis 49 hier lebte und vor allem malte. Sofort kramte ich mein Malzeug aus dem Koffer und schleppte alles eine Etage höher ins Atelier, wo hohe Fenster und Balkontüren Licht und Luft hereinließen.
Ich beginne meinen Koffer auszupacken. Auf meinem verwaschenen Malshirt entdecke ich neue, bräunliche Kleckse. „Moorlauge“ denke ich „Renos Zaubertinktur“.
Reno hatte uns die Schönheit und die Handhabung der Moorlauge vermittelt, uns gezeigt wie man mit der Feder zeichnet und mit dem nassen Pinsel die dunkelbraunen Linien verwässert und aufhellt. Wie auf einem vergilbten Schwarz-Weiß- Foto wirkte die Sepia - Färbung der Moorlauge. Genau das Richtige für die Altstadtmauern von Vence dachte ich und versuchte am nächsten Tag in den engen Gassen und verwinkelten Nischen mein Glück mit Moorlauge.
Die Passionsfrüchte, die an Hausmauern und Zäunen in Vence hochrankten leuchteten orange, süß schmeckten ihre blutroten, glibberigen Kerne.
Orange leuchtete uns auch das Matissemuseum in Nizza aus einem Park voller graugrüner Olivenbäume entgegen. Mit Skizzenblock und Aquarellstiften bewaffnet streiften wir durch die „heiligen Hallen“. Eine anthrazitfarben schimmernde Skulptur hatte es mir angetan und ich skizzierte sie mit Aquarellstift und Spucke.
Vorbei am Hotel „Regina“, in dem Matisse viele Jahre lebte und arbeitete, bummelten wir dem Chagall – Museum entgegen. Eine wahre Augenlust waren die farbenprächtigen, großformatigen Ölgemälde des Russen an den hellen, cremefarbenen Wänden. Da versagte der Zeichenstift, wenigstens Aquarellfarben hätte man dabei haben müssen, um eine Ahnung dieses leuchtenden Blaus oder des feurigen Rots zu Papier bringen zu können.
Nur das Azurblau des Meeres am Strand von Nizza konnte da mithalten.
Die „Chapelle du Rosaire“ zeigte sich lichtdurchflutet. Gelb, grün und blau spiegelten sich die Glasfenster auf den gegenüberliegenden weißen Fliesen im Innenraum der Rosenkranzkapelle, mit deren Ausgestaltung Henri Matisse sein Lebenswerk krönte. Lindgrün, purpur, hellblau und gelb leuchteten auch die Ornatsgewänder, die Matisse für die Dominikaner entworfen hat.
Jetzt knurrt mein Magen. Ich öffne die Kühlschranktür: Ein paar braune Eier liegen friedlich nebeneinander.
Vor meinen Augen taucht ein in den verschiedensten Grüntönen schillerndes Riesenei auf, es spiegelt sich in einem grüngefliesten Wasserbecken.
Miro stellte dieses Ei in den ruhigen, weitläufigen und modernen Park der Fondation Maegh. Zwischen den hohen Pinienstämmen am Berghang oberhalb von St. Paul standen weiße Skulpturen, grüne Breitmaulfrösche spuckten Wasser in mosaikverzierte Brunnen und Bronzefiguren stachen ihre spitzen Forken in den grauen Himmel. Im Inneren natürlich Kunst in allen Farben und Techniken, von Braque bis Giacometti, von Miro bis Picasso, Chagall und Matisse nicht zu vergessen. In den Vitrinen viele Skizzenbücher und kunstvoll gebundene Grafiken und Illustrationen, typografische Kleinode und bibliophile Kostbarkeiten. Eine Skulptur von Giacometti reizte mich zum Skizzieren und im Atelier zum Interpretieren in Grün.
Ein farbenprächtiger Nachmittag und Abend erwartete uns im Atelier. Es wurde aquarelliert und ausprobiert, lasiert und strukturiert was das Zeug hielt. Reno hatte für alle offene Ohren und Augen, guten Rat und hilfreiche Tipps. Seine Begeisterung für die Kunst war ansteckend und seine selbst kreierten Salate bunt und lecker.
Nach dem Salat meditatives Arbeiten im Atelier bei ruhiger Musik und gedämpftem Licht. Aus rotem Ton formten wir das, was uns in den Sinn kam um es dann zeichnerisch oder malerisch auf Papier umzusetzen. Eine spannende Sache bei der anderthalb Stunden höchste Konzentration herrschte.
Glutrot funkelte der Sonnenaufgang durch die Palmenfächer und verwandelte die Wassertropfen an den Blattspitzen in schillernde Diamanten. Die alten Olivenbäume neben unserem Esstisch draußen warfen blaugrüne Schatten. Schnell das Malzeug aus dem Atelier geholt, schnell springt der Pinsel in die braunen, grünen, blauen, violetten und ockerbraunen Farbnäpfe und von dort aufs Papier. Schnell trocknet die Aquarellfarbe in der Sonne, eine Tatsache, die man gerne in Kauf nimmt.
Mit einem Abschiedsessen im exquisiten Restaurant „Auberge“ mit seiner typisch provençalischer Küche ging diese farbenfrohe Woche zu Ende, in der wir uns vielleicht nicht wie „Gott in Frankreich“ aber ein wenig doch wie ein Matisse in Frankreich fühlten.
Autor:
SKR-Teilnehmerin
vom 03.05.2005