Kein Tourist, sondern Gast – eine berührende Begegnung
von SKR-Gast Angelika
Der König von Venda und ich – zu Besuch in einer anderen Welt
Vor uns fährt ein zweiter Wagen, ein Jeep. Der Mann am Steuer ist schwarz, allein – heute ist er ohne seinen Fahrer unterwegs, einen Weißen. Der Mann ist 40 Jahre alt, ein bulliger Typ, einer, der Autorität ausstrahlt. Er hat 120 Dörfer in dieser Region unter sich, er ist ihr König, König Kennedy Thivase von Venda. Hier, in einem der entlegendsten Teile seines Reiches, will er heute ein neues Schulgebäude einweihen, und er hat uns erlaubt, dabei zu Gast zu sein.
Wenig später tut sich der Busch auf, Kinder umringen die Autos, die Luft ist plötzlich voll vom Klang schriller Pfeifen und wuchtiger Trommeln. Dann sehen wir die neue Schule, einen schlichten Steinbau und das Empfangszelt, dass man für uns aufgebaut hat. Für uns und den König. Als wir aussteigen, ist schwer zu sagen, wer die über 400 Schüler hier mehr beeindruckt. Der König ist zum ersten Mal seit langem hier draußen, für viele der Schüler ist es aber auch beinahe ihr erster Kontakt mit Weißen. Nur den einen kennen sie alle, unseren deutschen Reiseleiter: Traugott Fobbe, Berliner Schnautze, groß, Vierkantschädel, weit weniger fromm als sein Name und ein Herz wie ein Löwe, wenn es um sein Volk geht, die Vha Venda, mit denen er aufgewachsen ist hier oben ganz im Norden, in der ärmsten Provinz Südafrikas.
Traugotts Vater war lutheranischer Missionar, ein streitbarer Geist, vom Apartheitregime ausgewiesen, abgeschoben zurück nach Berlin. Aber Traugott ist zurückgekehrt, um weiterzumachen: Jugendarbeit, Entwicklungshilfe. Als einziger Weißer gehört er heute zum Rat des schwarzen Königs und ist in diesen Tagen im Vendaland unser Führer und Dolmetscher.
Wir sind alle eins: eindrucksvolle Begegnungen
Wir sind ausgestiegen, werden scheu begrüßt von den Kindern in Schuluniform. Ihre Mütter tragen traditionelle Kleidung, die Lehrer und Dorfhäuptlinge haben zu diesem offiziellen Empfang ihre besten Anzüge angezogen, vielleicht auch ihre einzigen.
Dann sind wir einfach dabei. Tänze nehmen uns gefangen, Geschenk zu Ehren der hohen Gäste. Staub wirbelt auf vom rhythmischen Stampfen nackter Füße auf dem Lehmgrund, die Gesänge sind unvertraut, aber mitreißend, alle, die teilnehmen, agieren in einer eigentümlichen Mischung aus heiligem Ernst und selbstbewusster Fröhlichkeit. Dann hören wir den Reden zu. Reden in afrikanischem Tempo. König Kennedy Thivase spricht auch zu den Kindern direkt. Er spricht vom Respekt, den sie ihren Eltern und Lehrern zollen sollen, aber auch davon, dass sie als Kinder ein Recht haben auf respektvolle Behandlung. Die Schüler hören konzentriert zu. Und wir, eine ganz normale Reisegruppe aus Deutschland, fühlen uns mitgenommen in eine völlig andere Welt, fernab von üblichen Touristenpfaden, in die Wirklichkeit Afrikas jenseits aller Klischees, die wir im Kopf gehabt haben mögen.
Nach den Reden gibt es ein einfaches Essen: Maisbrei, Bohnen, Kohl, ein paar frittierte Termiten, man ißt die hier wie Chips. Dann Zeit für Gespräche. Mit dem König, z.B. darüber, wie man es vereinbart, gleichzeitig traditioneller Herrscher und moderner Politiker im Parlament zu sein, über die Probleme der Region, Armut, Aids.
Ein großes Geschenk von einem kleinen Freund
Aber auch die Kinder wollen mit uns reden. Sie sprechen Venda und Shangaan, die Sprachen ihre Völker, die hier im Norden leben, die älteren aber auch schon recht gutes Englisch.
Ein kleiner Junge setzt sich neben mich, Maisbrei um den Mund und weniger scheu als neugierig. Er ist ein Shangaan, 14 Jahre alt.
„Wie heißt Du?“
„Angelika“, sage ich, „und Du?“
„Tiyani“, sagt er mit Stolz in der Stimme.
Das ist Shangaan und bedeutet „der Starke“. Tiyani sieht, dass ich fasziniert bin von dem großen Baobab-Baum, der auf dem Platz vor der Schule steht und meint, ob ich denn sehen könne, dass dieser Baum falsch herum steht. Tatsächlich sehen diese Bäume in der unbelaubten Zeit so aus, als wüchsen sie mit den Wurzeln nach oben.
„Stimmt.“ sage ich. „Aber warum?“
„Das war“, erklärt er, „als Gott die Erde gemacht hat. Da musste jedes Tier einen Baum pflanzen. Und die Hyäne hat den Baobab gekriegt, aber sie war faul und hatte keine Lust und hat den Baum einfach verkehrt rum in die Erde gesteckt. Und da ist Gott sehr böse geworden und hat der Hyäne einen Klaps auf den Po gegeben. Und seitdem gehen die Hyänen so komisch.“
Er lacht. Die Zähne sind weißer als der Maisbrei um seine Backen. Die haben hier keine Karies, muss ich unwillkürlich denken, weil sie nicht um die Autos schwirren und um Bonbons betteln. Ich habe das gesehen in anderen afrikanischen Ländern. Da, wo der Massentourismus ist.
„Eine wunderschöne Geschichte,“ sage ich, „Ich habe leider noch nie eine Hyäne gesehen – so wirklich. Aber ich werde es mir merken.“
Er lacht wieder, dann springt er auf und rennt zu seinen Kameraden. Ich bleibe sitzen und denke: Er hat mir gerade ein großes Geschenk gemacht. Beiläufig. Er hat ein Stück seiner Kultur mit mir geteilt.
Südafrika abseits der Touristenmassen
Es ist eine der vielen Begegnungen auf dieser Reise, die ich nicht vergessen werde. Einer Reise durch Südafrika, die so anders ist, als das meiste, was der Markt dem Interessierten bietet. Kleine Gruppen, individuelle Betreuung, keine großen Hotels – persönlicher, authentischer, unmittelbarer.
Der Fokus dieser Reise jedoch, das, was sich ins Herz prägt für immer, ist der echte Kontakt mit den Menschen in diesem Land. Den Menschen in einer Region, die fast ausschließlich von Schwarzen bewohnt ist und von touristischer Erschließung bislang so weit entfernt ist, wie von Eisenbahn, Satelliten-TV und durchgängiger Alphabetisierung der Erwachsenen.
Hier in der Limpopo-Provinz, die zu den landschaftlich reizvollsten des Landes gehört, findet der Gast noch Ursprünglichkeit und Tradition bei den dort siedelnden Völkern (Vha Venda und Shangaan) , er bekommt einen Einblick in die Mentalität, die Kraft und Kreativität der Menschen, aber auch in die harte Realität ihres Lebens.
Wenn Touristen zu Gästen werden, können wir die Welt erst wirklich verstehen
Das Konzept zu dieser Reise fußt auf der Idee, Touristen zu Gästen zu machen und die Einheimischen zu Gastgebern ihrer Kultur. Eine Idee, entstanden im Herzen eines Mannes, der wie sein Reiseleiter-Kollege Traugott Fobbe hier als Weißer unter Schwarzen aufgewachsen ist: Paul Girardin, 40-jähriger Reiseunternehmer mit Schweizer Abkunft, der die Sprache der Shangaan schon als 5-Jähriger zu Hause lernte und diesem Volk seit frühester Kindheit eng verbunden ist.
Sein Urgroßvater, ein Arzt der Schweizer Mission, hatte Ende des 19. Jahrhunderts hier oben im Dschungel das erste Krankenhaus für Schwarze gegründet, das einzige im Umkreis von 700 Kilometern. Es ist bis heute die größte Kreisklinik der Region. Seitdem ist die Unterstützung der hiesigen Bevölkerung bei den Girardins Familientradition geblieben, und so entstand das Konzept eines sanften, für alle Beteiligten bereichernden Tourismus, der den Besuchten einen würdevollen Umgang, dem Reisenden ein in der Form einzigartiges Urlaubserlebnis bietet. Wer offenen Herzens hier ankommt, wird vollen Herzens wieder gehen.
Voll von den vielen Eindrücken bei einheimischen Künstlern und Kooperativen, stolz auf die Teilnahme an authentischen Festen und reich an menschlichen Begegnungen, die bleiben.
Nachhaltig reisen – Menschen bewegen
Bei alledem trägt der Gast unmittelbar zur Unterstützung wichtiger Entwicklungs-Projekte bei, die von Anfang an zu diesem Tourismus-Konzept gehörten. Paul Giradin selbst hat eine ganze Anzahl solcher Projekte ins Leben gerufen, u.a. ein Jugendbildungszentrum, eine Aids-Beratungs-Stelle, einen Kindergarten und die Förderung verschiedener Künstler sowie mehrere Frauen-Kooperativen in der Region.
Und natürlich gehört auch das Krankenhaus seines Urgroßvaters zu den Stellen, die immer profitieren vom Reisegeld der Teilnehmer. Als wir auf besonderen Wunsch einiger Gruppenmitglieder an einem Tag die dortige Kinderklinik besuchen, staunen wir über die moderne Ausstattung der Frühgeborenen- Station. „Ja,“ sagt Schwester Jaqueline lächelnd, „wir sind stolz auf die gute Versorgung, die wir den Kleinen hier, wo es an allem fehlt, bieten können. Und wissen Sie, wer diese Brutkästen da finanziert hat? SKR Deutschland. Sie.“
Hyänen und der Klaps Gottes
Die Tage in Venda waren intensiv. Als wir am nächsten Tag aufbrechen in den Krügerpark, wirkt das Erlebte noch nach. Die besonderen Begegnungen aber gehen weiter: Löwen, Büffel, Nashörner, wieder das Gefühl, beschenkt zu werden. Mein größtes Geschenk begegnet mir hier am dritten Tag: eine Hyäne. Nur wenige Meter neben dem Auto. Sie scheint unangenehm berührt, dass ich sie so begaffe. Ich muss lachen. Ob sie weiß, dass ich ihre Geschichte kenne? Dann wendet sie sich ab und ich sehe, ihre Hinterbeine sind tatsächlich kürzer als die vorderen, was ihrem Gang etwas Beschämtes gibt. Der Klaps Gottes.
Mein Herz bleibt in Afrika
Als wir abends am Lagerfeuer in unsere hübschen kleinen Lodge sitzen, teile ich die Geschichte mit den anderen. Paul Girardin lacht: „Ja, Afrika ist voll von solchen Geschichten.“ Dann bitte ich ihn, uns eine zu erzählen, darüber, was ihn dazu bewogen hat, das alles hier zu machen. „Haben Sie Sich schon mal gefragt,“ sagt er nach einer Weile, „warum die Schwarzen immer die meisten Gold-Medaillen abräumen beim Laufen?“ Ich bin irritiert. „Als ich klein war,“ lächelt er, „da gab es schwarze Kinder in meinem Alter, die mussten jeden Morgen 30 km weit zu Fuß zur Schule gehen. Ohne Schuhe. Sie standen um halb vier auf und wenn es kalt war im Winter, dann rannten sie. Deshalb.“ sagt er. Deshalb.
Autorin: SKR-Gast Angelika vom 04.05.2005 (über ihre SKR-Reise im Jahr 2003)
Als Gast in Südafrika: SKR Reisen hilft e.V. & zu unseren Südafrika-Reisen
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Haben Sie nach diesem Reisebericht von Angelika auch Gänsehaut? Wollen Sie auch lieber Gast als Tourist sein und den Menschen vor Ort auf eine echte Art und Weise begegnen? Dann sind unsere einzigartigen Südafrika-Rundreisen genau das richtige für Sie!