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Reisebericht Griechenland
Träume im deutschen Winter
Wir haben 2014. An einem trüben Spätwintertag sitze ich am Fenster und blicke auf die regennasse Straße. Mein Blick geht durch den Nieselregen auf die Häuserzeile gegenüber. Meine Hände wärme ich an einer heißen Tasse Tee. Ich vermisse die Sonne, ich sehne mich nach Sand unter den Füßen und dem Rauschen der Brandung. Ich habe genug von Asphalt und Verkehrslärm. Fernweh lautet die Diagnose meines Befindens. In der Nacht habe ich einen Traum. Kaum eingeschlafen bin ich schon am Flughafen. Es geht alles ein wenig schnell, erscheint aber völlig real. Ich fahre mit dem Auto in eines der riesigen Parkhäuser, finde auch ganz schnell einen Parkplatz und mache mich auf den Weg in die Abflughalle. Dann gebe ich mein Gepäck auf, schaue auf die Anzeigentafel und bin erleichtert, dass mein Flugzeug planmäßig starten wird. Kaum habe ich mein Gate entdeckt, sitze ich auch schon neben meiner Partnerin Doris auf einem Fensterplatz im Flieger, vor uns ein Glas Champagner zum Beginn des Urlaubs. War da was mit Einchecken oder Sicherheitskontrollen?
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Wir haben kaum die Alpen überquert, da setzt die Maschine schon zum Landeflug auf Athen an. Wir zerren unsere Koffer vom Fließband, rennen zum Ausgang. Da kommt uns Christoph mit dem SKR-Schild entgegen, verstaut das Gepäck im Bus, und los geht’s. Landschaften ziehen vorüber – Küste und Meer, die felsigen Berge Attikas, Hänge voller Olivenbäume. Wir überqueren den Kanal von Korinth, sind nun auf dem Peloponnes und fahren hinauf ins arkadische Bergland. Rasant geht es weiter, vorbei an Tripoli, durch die Stadt Sparta. Die hohen Berge des Taygetos grüßen herüber. Fast unmerklich gleite ich aus dem Traum in die Wirklichkeit hinüber.
Die Akroktima Boukouvala in Vathi – Idylle am Meer und im Grünen
Wieder sind wir Gäste auf dem Landgut der Familie Boukouvala in Vathi bei Gythio. Das Gut liegt in einer kleinen Talebene, die sich nach Süden zum Meer hin öffnet. Die Hügel im Osten und Westen sind Ausläufer des Taygetosgebirges. Das Tal ist durch Quellen das ganze Jahr über mit Süßwasser versorgt. Auf dem acht Hektar großen Gut wird Gemüse angebaut, gedeihen Oliven, Orangen, Mandarinen, Zitronen und Feigen. Die kleine Ferienanlage – die wenigen Häuser mit Natursteinen gemauert, idyllisch und ganz im Grünen – ist umstanden von Oleander und Palmen, Feigen- und Orangenbäumen und grenzt direkt an den ruhigen Sandstrand der Bucht von Vathi– eine Oase der Entspannung und Ruhe. Still ist es hier. Oft hört man gar nichts. Kein Motorengeräusch, kein fernes Flugzeug, kein Kirchenglockengeklöppel. Kein Geläut vom Ziegenhals, keine menschlichen Stimmen. Manchmal scheint die Zeit still zu stehen. Der Chef hier ist Iannis. Seine wichtigste Stütze ist die Köchin Vasso. Jeden Morgen baut Iannis ein Frühstücksbuffet auf, frisch gepresster Orangensaftist stets dabei. Gegessen wird im Freien auf der Terrasse unter einer großen Markise, die Schutz vor der Sonne bietet. Im Tal und in den Hügeln kann man spazieren gehen soweit die Füße tragen, kann Feigen aufsammeln und Orangen pflücken und dabei Pflanzen und Tiere kennenlernen.
Christoph – Musikfan und Spezialist für Altertümer
Christoph Löhr ist unser Reiseleiter. Griechenland ist für ihn zur zweiten Heimat geworden, er lebt über einen großen Teil des Jahres in Athen. Nach dem Abendessen gibt es Unterricht, Neugriechisch für den Urlaub. Unvergessen bleiben die Abende mit griechischer Musik. Wir hören die Stimmen von Sotiría Béllou, Maríka Nínu, Jórgos Daláras, Dímitra Galáni. Christoph ist promovierter Archäologe. Man kommt gar nicht umhin, mit Altertümern und den Wechselfällen der Geschichte Griechenlands befasst zu werden. Und in der Tat, ist es nicht unerlässlich, die Vergangenheit zu kennen, um die Gegenwart zu verstehen, um das einzuordnen, was man zu hören und zu sehen bekommt? Vom sogenannten klassischen Altertum und auch von den Römern ist auf der Mani wenig geblieben. Um 400 n.Chr. begann das Byzantinische Zeitalter, doch spielten sich Ereignisse von historischem Rang erst einmal keine ab im alten griechischen Mutterland, d.h. in Attika und auf dem Peloponnes. Sie waren relativ unbedeutende Randprovinzen des Byzantinischen Reiches. Geschichte wurde in Konstantinopel gemacht, der Hauptstadt des oströmischen Reichs nach der Teilung in Ostrom und Westrom. Eine gewaltige Zäsur brachte das Jahr 1204: Konstantinopel wurde ein Opfer des Vierten Kreuzzugs. Das Kreuzfahrerheer, französischeRitter und venezianische Seeleute und Soldaten mit ihren Schiffen, eroberte die Stadt. Fromme Kreuzritter und venezianische Seefahrer, eine seltsame Allianz auf den ersten Blick. Nun, es gab einen deal. Die reichen Reeder der Republik Venedig gingen in Vorleistung; sie rüsteten die Schiffe aus, die von den Rittern benötigt wurden, um ins östliche Mittelmeer zu gelangen. Bezahlen mussten die Kreuzfahrer später, mit einem großen Teil ihrer Beute nämlich, die sie machten. Das Beuteversprechen war wohl einer der Gründe, warum das reiche Konstantinopel angegriffen wurde und nicht, wie es ursprünglich geplant war, Jerusalem und Ägypten, wo außer Ruhm nicht viel zu holen war. Auch der Peloponnes fiel in die Hände der Kreuzfahrer. Er wurde in mehrere Fürstentümer, Baronien, unterteilt, die von fränkischen, also französischen, Kreuzrittern regiert wurden. Der mächtigste war Gottfried (Geoffroy)de Villehardouin aus Nordfrankreich. Wilhelm II. Villehardouin erbaute die berühmteste Festung der Kreuzritter, Mistras. Nach gut fünfzig Jahren beendeten byzantinische Heere die Herrschaft der fränkischen Ritter, Konstantinopel wurde zurückerobert. Wilhelm und andere Frankenfürsten gerieten in Gefangenschaft und mussten als Gegenleistung für ihre Freilassung die Festungen an Byzanz abtreten. Unter den byzantinischen Kaisern wurde Mistras zu einem glanzvollen zweiten Zentrum des Reiches ausgebaut, Klöster wurden angesiedelt, eine Reihe prächtiger Kirchen erbaut. Der byzantinische Statthalter auf dem Peloponnes residierte dort. Das byzantinische Reich zerfiel, als es dem Ansturm der Türken keinen dauerhaften Widerstand mehr zu leisten vermochte. Konstantinopel wurde von den Türken erobert, dann Athen, und 1460 fiel auch das letzte Bollwerk, Mistras. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung begann 1821 der griechische Freiheitskampf, der seinen Ausgang im Süden des Peloponnes nahm und mit der Unabhängigkeit Griechenlands im Jahr 1830 endete.
Vasílis, ein deutscher Grieche, bewirtschaftet das Thalami in Ageranós
In Ageranós stehen zwei Wohntürme – sie sind vom Tal von Vathi aus auf dem westlichen Höhenrücken zu sehen. Einer davon ist noch bewohnbar. Er gehört schon seit Generationen der Familie des Antonobey Grigorakis. Wir essen im Restaurant Thalami bei Vasileios Bourtzinakos und seiner Frau Marie-Jose. Vasílis erzählt gerne von sich, seiner Familie, seinem Restaurant und seinem Zuhause, der Mani. „Die Familie meines Vaters wohnt schon seit Generationen in Ageranós. Jedoch kannte ich diese Gegend nur aus Urlauben, die ich als Kind hier verbrachte. Meine Eltern sind in den 1960er Jahren nach Deutschland ausgewandert; ich bin in Hannover geboren und aufgewachsen. Während meiner Wanderjahre war ich in Frankreich, um dort Erfahrungen in der Gastronomie zu sammeln. Dann habe ich mit meiner Frau Urlaub in Griechenland bei meiner Familie gemacht, wir haben Pläne geschmiedet und dann entschieden. Schließlich zogen wir 1999 endgültig nach Ageranós. In unserem Restaurant kommen Fisch und Octopus aus dem Lakonischen Golf zu unseren Füßen, das Olivenöl von den Bäumen unseres Dorfs und das Gemüse aus den Nachbardörfern.“ Dann kommt auch Marie-Jose zu Wort. „Ich bin in den Niederlanden geboren und aufgewachsen, in der Nähe der deutschen Grenze. Deshalb sprechen mein Mann und ich oft deutsch miteinander. Auf der Insel Mykonos habe ich Vasílis kennen gelernt. Unsere beiden Mädchen gehen in Mavrovouni bei Gythio zur Schule und sprechen neben Griechisch auch Holländisch und Deutsch.“ Und Vasílis ergänzt: „Im Winter sind wir und eine ältere Frau die einzigen Bewohner unseres Dorfs. Aber wir sind nicht einsam. Am Wochenende kommen Freunde, und bei schönem Wetter sitzt man selbstverständlich draußen auf der Terrasse, genießt das Essen, den Wein und den Blick aufs Meer.“
Gythio – Kleinstadt mit Hafen und Flair
Gythio ist eine lebhafte Kleinstadt in einer geschützten Bucht des Lakonischen Golfs. Viele Häuser sind im neuklassizistischen Stil erbaut und drängeln sich am Berghang wie ein um Aussicht heischender Haufen Neugieriger. Die lange Hafenpromenade, steile Treppen, die engen Gassen und mehrere Kirchen sorgen für ein urgriechisches Ambiente mit all seinen baulichen Provisorien und strukturellen Ungereimtheiten. Nur vierzig Kilometer von Sparta entfernt war Gythio in der Antike dessen wichtigster Kriegs- und Handelshafen. Von den Athenern zerstört, erlebte es in römischer Zeit erneut eine wirtschaftliche Blüte; materieller Wohlstand kam durch den regen Warenaustausch über den Umschlaghafen zustande. Nach einem verheerenden Erdbeben, der späteren Invasion plündernder Goten und dem Einfall der Slawen in Hellas um 600 n. Chr. wurde Gythio von vielen seiner Einwohner aufgegeben. Erst als sich die einflussreiche Familie Grigorakis hier niederließ, wurde der Ort wieder stärker besiedelt, bis er im Zuge der Landflucht im 20. Jh. erneut schrumpfte. Zeugen der Glanzzeit im 19. Jh. sind die Häuser über dem Hafen, teils im Verfall begriffen, teils liebevoll restauriert. Die kleine Insel Marathonisi mit einem Pinienwäldchen und einem Leuchtturm ist mit Gythio durch einen Damm verbunden und grenzt das Stadtbild malerisch gegen das offene Meer hin ab. Die Insel war – so ist es von Homer überliefert – erster Zufluchtsort der Schönen Helena, Angetraute des Spartaners Menelaos, bei ihrer Entführung durch ihren Liebhaber Paris. Paris und Helena sollen dort auf der Flucht von Sparta nach Troja ihre erste Liebesnacht verbracht haben. In Gythio kann der Urlauber sich griechischem Gegenwartsleben widmen, frei vom sonstigen landesimmanenten Kulturzwang, denn aus ihrer älteren Vergangenheit hat die Stadt nur ein kleines römisches Theater zu bieten. Abseits der touristischen Straßen entdecken wir eine kleine Bäckerei, in der auch Kaffee geröstet wird; der Kaffeeduft steigt schon in einiger Entfernung in unsere Nasen und führt uns hin. Hier begegnen wir zwei älteren Damen, die gerne aus ihrem Leben erzählen. Wie nicht wenige Griechen haben sie jahrzehntelang im Ausland gelebt, weil es in der Heimat nur Krieg, Diktatur und Armut gab, aber keine Arbeit. Die eine hatte es nach Australien, die andere nach Minnesota (USA) verschlagen. Als Rentnerinnen sind sie in die Heimat zurückgekehrt. Sie weisen uns auch auf das Foto an der Wand hin, auf dem Onkel des jetzigen Inhabers als junger Mann zu sehen ist; damals, vielleicht in den 1960er Jahren, wurden die Kaffeebohnen noch über einem Holzfeuer geröstet und die Rösttrommel mit einer Handkurbel gedreht.
Ja, so warn's die alten Rittersleut' - Die Frankenfestung Passavas
Zu Passavas im Taygetos, Glaubt es mir, da war was los, Da ham edle Ritter g'haust, Denne hat's vor garnix graust. Hoch über der Straße von Gythio nach Areopolis, elf Kilometer nach dem Ort, sieht man die Festung Passavas. Hinaufsteigen ist mühsam. Die Pfade sind verwachsen, die stacheligen Blätter der Stecheichen zerkratzen die Beine. Der Blick auf die karge Landschaft, die Berge des Taygetos und hinunter in die Senke, in der die Straße verläuft, lohnt die Mühe. Passavas gehörte in der Antike über lange Zeit zu Sparta. Nach der fränkischen Eroberung des Peloponnes wurde es Besitz des Barons Jean de Neuilly. Der Name Passavas ist vermutlich abgeleitet vom Motto dieser Familie: Passe-Avant, "vorwärts bewegen". Passavas war eine kleine, aber wichtige Baronie, weil sie die widerspenstigen Manioten in Schach hielt. Im finalen Kampf mit den Byzantinern wurde auch der Baron de Neuilly gefangen genommen. Seine Tochter war gezwungen, ihre Burg als Teil des Lösegelds aufzugeben. Später wurde der Ort von den Türken besetzt, als sie den größten Teil des Peloponnes eroberten, aber mit dem Versuch scheiterten, die Kontrolle über die Manioten zu erlangen. Was die Sage erzählt: Nachdem in einer Karwoche ein Anführer der Manioten von den Osmanen hingerichtet worden war, galt die Totenklage seiner Mutter weniger der Trauer oder dem Verlust, sondern mehr der Rache: „... ich will keine Kränze in die Schürze oder rote Eier in den Korb, nur Gerechtigkeit für meinen Sohn... erstecht alle Türken und verbrennt ihre Burg“. Und so geschah es. Die Mutter führte die maniotischen Männer nach Passavas; als Priester verkleidet wurde ihnen am Ostersonntag das Betreten der Burg erlaubt. Als sie drin waren, zogen sie ihre versteckten Waffen. Wie viele der 700 türkischen Familien in der Festung das Gemetzel überlebten, ist nicht überliefert.
Areopoli - Sieg oder Tod
Aeropoli ist das Zentrum der südlichen Mani. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Wohntürme renoviert, die Kirche Johannes des Täufers und die Doppelkirche des Ájos Charálambos und der Panajía Faneroméni wurden zugänglich gemacht. Restaurants und Cafés öffneten. Die ganze Stadt steht jetzt unter Denkmalschutz. Ein kleines Mani-Museum wurde im Pikulákis-Turm eingerichtet. Auf dem Marktplatz steht das Denkmal für Petros Mavromichalis, den Petrobey, den „Krieger“, dessen mächtige Familie jahrhundertelang auf der Mani ansässig war. Obwohl Petros ein osmanischer Bey war, gehörte er der Filiki Eteria an. Dies war ein GeheimbundgriechischerPatrioten und europäischer Philhellenen, die im 19. Jh. die Befreiung Griechenlands von den Osmanen und die Errichtung einer griechischen Republik erreichen wollten. Ob alle Touristen, die wie wir am Platz des 17. März 1821 Kaffee trinken, wissen, was es mit dem Namen auf sich hat? An diesem Tag, an dieser Stelle trafen sich die Freischärler um Petros Mavromichalis zum Schwur. Er hisste hier zusammen mit anderen Manioten die Fahne der Mani mit einem blauen Kreuz und der Losung ΝΙΚΗ Ή ΘΑΝΑΤΟΣ, Sieg oder Tod. Sie gaben damit ein Startsignal zum griechischen Freiheitskampf, bevor sie sich nach Kalamata aufmachten und die Stadt im März 1821 als erste Griechenlands von den Türken zurückeroberten.
Die Mani südlich von Aeropolis: Blutrache und Totengesänge
Durch den Exodus der Bevölkerung ist die Mani südlich von Aeropolis (die innere Mani) heute äußerst dünn besiedelt. Umgekehrt war die Region bis ins 20. Jh. wegen ihrer Unwegsamkeit ein Rückzugsgebiet für Menschen auf der Flucht vor fremden Eroberern und auch für Piraten. Die Mani blieb lang ein Landstrich fast frei von staatlichen Eingriffen. Familien, die eine Art Feudalherrschaft ausübten, bauten seit dem 17. Jh. die Türme als Fluchtburgen. Sie boten auch Schutz bei den blutigen Fehden, die von den Manioten untereinander ausgetragen wurden. Anlass war meist eine Verletzung von Besitzrechten; es ging um ein Stück Acker, ein Schaf, aber auch um die vielzitierte Ehre. Tote waren keine Seltenheit. Der endgültige Waffenstillstand zwischen den Großfamilien wurde erst kurz vor den Freiheitskriegen, 1821, herbeigeführt. Nun ging es gegen die Türken! Einen festen Bestandteil der Kultur bildeten die traditionellen Totengesänge, die Moirologia. Zumeist wurden sie von Frauen vorgetragen. Oftmals sangen sie sich dabei in tranceartige Zustände. Archäologen vermuten, dass die Totengesänge der Spartaner schon so geklungen haben. Die Moirologia sind das, was die Maniaten neben eigener Architektur von Kirchen und Wehrtürmen an Volkskultur hervorgebracht haben. Durch den Bevölkerungs-Exodus findet jedoch so gut wie kein kultureller Austausch der Generationen mehr statt, sodass die Tradition der Moirologia über kurz oder lang verschwinden wird oder schon verschwunden ist. Ihre ganz eigene Einstellung zur Vergangenheit hatte Kyria Rosalia, 70 Jahre alt. Sie war in Pirgos Dirou die Schlüsselherrin des Turms der Familie Sklavonakis, „Verschwindet!“ krächzte sie mit ihrer hohen Stimme, als wir bei ihr vor vielen Jahren um Einlass nachfragten. Sie saß auf einem schmalen Holzstuhl. Unter den Säumen von dunkelfarbenen Röcken und Schürzen sahen ihre dünnen, wadenlosen Beine hervor. Mit einer Gabel stocherte sie in der Schüssel auf ihrem Schoß und ergatterte einen Happen des Reis-Spinat-Gemischs, den sie an der Pforte ihres Zahns vorbei in den Mund stopfte und zerkaute. An jenem Tag war Waschtag bei Rosalia; in dem lehmigen Hof standen noch milchblau die Pfützen der Seifenlauge. Vielleicht hatte sie nicht ihren besten Tag. „Lasst endlich die Türme in Ruhe! Die Türme hatten ihre Zeit. Sie ist vorbei. Lasst sie zerfallen!“ Sie zeigte mit einem knöchernen Finger auf eine Garbe alter Flinten neben dem Eingang und schrie: „Blutrache? Das gibt es nicht mehr. Wir schießen Wachteln. Versteht ihr? Wachteln.“
Durch die Äußere Mani
Von Areópoli aus windet sich die Straße zur Bucht von Liméni hinunter. Hier steht noch das Geburtshaus des Pétrobey Mavromichális. Das Anwesen hat den für große Máni-Häuser typischen Aufbau; es besteht aus einem hohen Wehrturm für Kriegszeiten, einem lang gestreckten Wohnhaus für Friedenszeiten und einer niedrigen Vorhalle für das Vieh. Wir fahren durch Thalámai mit seinem schönen Brunnenhaus am Dorfplatz und der riesigen Platane vor der Taverne O Platanos. In Platsa lohnt ein Abstecher zur alten Kirche Ájios Nikolaos Kambinari. Die dreischiffige Basilika wurde im 10. Jh. erbaut, die Kuppel erst Mitte des 14. Jh.s aufgesetzt. Eine Kaffeepause ist angesagt. Wir sitzen bereits auf dem hübschen Platz mit den Maulbeerbäumen, als der Regen einsetzt, der sich schon am Morgen angekündigt hat. Verkehrte Welt: die einheimischen Männer, die vor dem Kafenion hocken, zücken ihre Handies und knipsen die Touristen, die ihren Kaffee unter Regenschirmen schlürfen. In der Statistik ist ein Regentag im September übrigens nicht vorgesehen, aber es wird auch der einzige bleiben. In Stoupa begegnet uns zur Abwechslung ein Stück Literatur- und Filmgeschichte. Oberhalb des Orts sind noch immer die Eingänge zu den Kohleminen zu sehen, die in dem Film von Nikos Kazantzakis Zorba the Greek aus dem Jahr1946 eine so bedeutende Rolle spielten. Das Vorbild für den Filmhelden Alexis Zorbas war der Minier Georgis Zorbas aus Westmakedonien, den Kazantzakis zum Vorarbeiter in seinen Minen gemacht hatte. In Kardamyli besuchen wir das gerade wieder eröffnete Troupakis-Mourtzinos-Turmensemble. Nun sind es noch knapp vierzig landschaftlich schöne Kilometer bis nach Kalamáta. Von da fahren wir durch die Nedon-Schlucht hinauf ins Taygetos-Gebirge und über den Langada-Pass. Brände in den Jahren 2005 und 2007 haben einen großen Teil der Wälder in diesem Teil des Gebirges zerstört. Schöne Bestände der Griechischen Tanne und der Schwarz-Kiefer sind vernichtet. Durch die Langada-Schlucht geht’s hinab nach Sparti und zurück nach Vathi.
Geraki - Byzantinische Kirchen, Fränkische Stadt und Festung
Geraki liegt an den südlichen Ausläufern des Parnon-Gebirges am Ostrand einer fruchtbaren Ebene. In der Antike gehörte Geraki zu den mit Sparta verbündeten Städten. In byzantinischer Zeit schwang sich Geraki zu beachtlicher Blüte auf. Mit der Eroberung des Peloponnes durch die fränkischen Kreuzritter wurde Geraki Sitz einer Baronie unter Guy de Nivelet, der südöstlich der Stadt auf einem Felsrücken eine Festung erbaute. Darunter entwickelte sich eine neue Stadt. Die Festung war fast so groß wie die von Mistras, Nach der Niederlage mussten die Franken auch Geraki den Byzantinern überlassen. Die Stadt wurde Sitz eines Bischofs, neue Kirchen wurden gebaut. Sie sind an Zahl kaum weniger als in Mistras, wenn auch kleiner, auch sie mit schönen Fresken ausgemalt. Kirchen des Dorfes sind Agios Sozon, eine Kreuzkuppelkirche, ferner Ag. Nikolaos, eine zweischiffige Kirche. Ag. Ioannis Chrysostomos entstand während der Bauzeit der fränkischen Stadt. Die Türpfosten dieser einschiffigen Kirche sind Spolien, in die eine Marktverordnung des römischen Kaisers Diokletian aus dem Jahre 301 eingemeißelt ist. Sie sollte mit Hilfe einer Höchstpreis-Festsetzung den Preisverfall im römischen Reich aufhalten. Am Ortsrand steht die älteste Kirche von Geraki, die Kirche der Panagia Evangelistria aus der Mitte des 12. Jh.s. Auch bei ihrem Bau wurden Spolien verwendet, z. B. an der Südwand eine Triglyphenplatte. Die größte Kirche von Geraki, neben dem Friedhof, ist Ag. Athanasios, eine Kreuzkuppelkirche. Von der Straße zur Festung aufsteigend passieren wir zuerst die Agia-Paraskevi-Kirche. Weiter oben steht die Kirche Zoodochos Pigi (Lebenspendende Quelle), innerhalb der Festungsmauern die einstige Bischofskirche Ag. Georgios. Die Namen der meisten Kirchenpatrone sind uns fremd. Wer waren sie? Sozon, ein Märtyrer, ist der Schutzheilige der Insel Limnos. Johannes von Antiochia war im 4.Jh. Erzbischof von Konstantinopel. Im 6. Jh. wurde ihm der Beiname Chrysostomos (gr.: „Goldmund“) gegeben, weil er ein großer Prediger war. Athanasius ist als Kirchenlehrer und Bischof von Alexandria (4. Jh.) bekannt. Das griechische Wort Paraskevi bedeutet sowohl „Vorbereitung“ als auch „Freitag“. Häufig wird angenommen, der Name beziehe sich auf den Karfreitag. Gemeint ist aber die Vorbereitung auf jeden Sonntag, den „Tag des Herrn“, da traditionell bereits freitags damit begonnen wurde, am Sonnabend die sonntägliche Messe und das zugehörige Fest „vorzubereiten“. Mehrere Heilige tragen diesen Namen. In Griechenland wird dabei vor allem jene Paraskevi aus dem 2. Jh. verehrt, die als Heilerin der Blinden galt. Sie soll auch dem römischen Kaiser Antoninus Pius das Augenlicht gerettet haben, obwohl dieser sie zuvor, infolge der Christenverfolgungen im Römischen Reich, foltern ließ. Nach dieser Tat schenkte er ihr die Freiheit und beendete die Verfolgung der Christen. Später starb die Paraskevi doch noch den Märtyrertod, als unter Marcus Aurelius die Verfolgungen erneut begannen.
Monemvasiá - Belebte Gassen, geraubte Ikonen, Heimat eines großen Dichters
Östlich von Gythio queren wir die ausgedehnte Ebene, durch die der Fluss Evrotas dem Lakonischen Golf zufließt. Die Talebene wird intensiv landwirtschaftlich genutzt. Dann fahren wir über das Parnon-Gebirge. Auf einem Felsrücken sehen wir zum ersten Mal in Griechenland Windräder. Dann liegt vor der südöstlichen Küste Lakoniens der 300 Meter hohe Fels von Monemvassia wie ein riesiger Hut, das Gibraltar Griechenlands. Als Monemvassia noch venezianische Festung war, galt es als uneinnehmbar. Wir erreichen Gefyra am landseitigen Beginn des Straßendamms zur Felseninsel. Drüben endet der Autoverkehr am Westtor zur Altstadt, die sich mehr und mehr touristisch profiliert. Immer neue kleine Hotels und Restaurants ziehen in die restaurierten alten Häuser ein. So kommt wieder Leben in die alten Steine. Doch nur wenige Familien bewohnen Monemvassia ständig. Monemvassia zählt zu den Top-Adressen vermögender Griechen. Vor dreißig Jahren war hier noch ein fast menschleeres Gewirr von halbverfallenen Häusern, heute gehört es in Athen zum guten Ton, dort eine Zweitwohnung zu besitzen oder wenigstens seine Tochter im Ambiente der Basilika zu verheiraten. Die Renovierung des erworbenen Hauses nach den Richtlinien der Archäologischen Gesellschaft darf dann noch ein bisschen extra kosten; Monemvasia hat inzwischen eine Armee von Denkmalschützern auf seiner Seite. In den engen Gassen reihen sich Geschäfte, Restaurants und Cafés aneinander. Auf Schritt und Tritt finden sich Zeugnisse venezianischer und byzantinischer Architektur, an jeder Ecke bieten sich neue Sichten und Einblicke. Man kann stundenlang durch die Gassen wandern, steile Treppen ohne Geländer auf- und absteigen und wird doch immer wieder Neues entdecken. Plötzlich stehen wir vor dem Haus, in dem einer der bedeutendsten griechischen Dichter der Neuzeit, Jannis Ritsos, lange gelebt hat. Er ist hier 1909 geboren. Gestorben ist er 1990 in Athen, aber auf dem Friedhof von Monemvassia bestattet. Der Hauptplatz mit der Kanone wird beherrscht vom Glockenturm der Kirche Elkomenos Christos. Die Kirche ist eine dreischiffige Basilika mit Kuppel. Zwei Pfauen über dem Portal der Kirche verheißen dem Eintretenden das Paradies. Diebstahl von Ikonen, so erfahren wir hier, gab es auch schon in der Vergangenheit. Ein byzantinischer Kaiser mit dem Beinamen Angelos ließ das Bildnis des Christos Elkomenos rauben und nach Konstantinopel bringen. Eines der größten und schönsten Kreuzigungsbilder aus dem 14. Jh. wurde ebenfalls gestohlen, hing viele Jahre im byzantinischen Museum von Athen und wurde erst 2011 an die Kirche Christus Elkomenos zurückgegeben, wo es jetzt aufwändig gesichert in einem Seitenraum hängt. Eine sehenswerte Kirche ist auch die der Panagia Chrysafitissa. Die Kuppelkirche wurde in der Zeit der osmanischen Herrschaft errichtet. Während der venezianischen Herrschaft diente sie als katholische Pfarrkirche. Die Panagia Chrysafitissa ist die Schutzpatronin der Stadt. Der Name geht auf eine Legende zurück: Die Ikone der Chrysafitissa, die ursprünglich in einer Kirche in Chrysafa (ein Dorf in der Nähe von Sparti) gehangen hatte, fand man eines Tages hier in dem Brunnen auf der Südseite der Kirche. Dorthin wurde dann eine Kapelle gebaut. Der Madonna und dem Quellwasser werden zahlreiche Wunder zugeschrieben. Dem Restaurant To Kanoni, wo wir zu Abend essen, haben die New York Times und andere internationale Magazine bereits Artikel gewidmet. Früher, noch 1991, hatte es ein griechisches Ambiente, mit Griechen, die Kaffee tranken und nachdachten …
Wanderungen – ganz schön mühsam bei sommerlichen Temperaturen
Die von Christoph so genannte Olivenwanderung im Hinterland von Gythio führt uns zur Kapelle Áji Theódori und weiter zum Biohof Karábabas von Giorgos Germanakos und Susanne Schneck. Dort kann man alles kaufen, was bio ist: Olivenöl, Honig, selbstgemachte Marmeladen und Kräuterpasten … Von Pírgos Dirú führen teilweise uralte Pflasterwege hinüber nach Areópolis. Noch blüht hier das griechische Alpenveilchen.Unterwegs gibt es ein einfaches Picknick an der Kapelle des Ájos Sózon, wo wir gemütlich im Schatten sitzen können, und am Marktplatz von Areópolis erholsames Kaffeetrinken, während Christoph den kleinen Bus aus Pirgos nachholt.
Wie reagieren die Griechen auf die hellenische Krise?
Viele Griechen wollen im Land bleiben und nicht vor der Krise flüchten. Ich habe mit einigen gesprochen. „Geld ist nicht alles", sagt Manoussos. „Du weißt das, ich weiß das, aber die Politiker scheinen das noch immer nicht zu wissen - weder unsere noch die in Europa. Die sorgen sich doch nur um Märkte und Banken. Die Menschen, solche wie wir, kommen ganz zum Schluss. Wir sind für die doch nur wie Ameisen!" Doch warum sieht man auf dem Peloponnes nicht viel von der Krise? „Schau dich doch um! Wir haben Obst und Gemüse, hier wachsen Olivenbäume, hier leben tausende Ziegen und Schafe. Und wenn ich Durst habe, gehe ich da runter, da ist eine Quelle, und trinke Wasser. In Athen musst du für einen Schluck Wasser bezahlen." Vivi, 25 Jahre alt, ist erst vor einigen Monaten hierher zurückgekommen. „Mein Dorf ist für mich wie ein sicherer Hafen. Ich bin hierher zurückgekommen, weil ich mir das Leben in Athen nicht mehr leisten kann", sagt sie. „Das Problem ist, dass sich in Griechenland niemand an Gesetze hält, schon gar nicht die Politiker. Zum Beispiel das Rauchverbot in Lokalen: In Griechenland ist das Rauchen in Lokalen genauso verboten wie anderswo auch. Aber die Leute rauchen überall! Trotzdem, wir werden diese Krise überwinden!" Die 23-jährige Eleni studiert. „Europa, das sind die Möglichkeiten, dass wir alle voneinander lernen. Ein Griechenland ohne Europa? Das kann ich mir nicht vorstellen. Und schon gar nicht ein Europa ohne Griechenland!" Maria ist Anfang 30. „Gut“, sagt sie, „die Situation ist schwierig. Viele junge Menschen kommen jetzt wieder zurück aus Athen und lassen sich auf dem eigenen Stück Land nieder, das der Familie gehört. Sie können ihr Haus bauen und haben alles zum Leben, was sie brauchen.“ Georgios lebt bereits mehrere Jahrzehnte in Deutschland. Ich lerne ihn in einer Klinik kennen, wo er Arzt ist. „Gesundheit ist doch ein höheres Gut als Schuldenfreiheit oder Wirtschaftswachstum. In Griechenland sterben Menschen, weil sie sich die Behandlung beim Arzt nicht mehr leisten können. Nur dank Tausender Ärzte, die nur gegen geringe oder gar keine Bezahlung solchen Leuten helfen, werden viele Griechen überhaupt noch behandelt. Man spricht davon, dass es ein Untergrundnetz von Ärzten gibt". Die Troika aus IWF, EZB und EU habe sich beim letzten Besuch „zufrieden" gezeigt. Aber könne man damit zufrieden sein, dass es in Griechenland wieder Malaria-Tote gibt? Zufrieden damit, dass die Lebenserwartung besonders bei Männern drastisch gesunken ist? Oder zufrieden mit der Verdreifachung der Selbstmordrate, die jahrelang die niedrigste in Europa war? Zufrieden vielleicht mit der Arbeitslosigkeitsquote von 27 Prozent? Oder mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 70 Prozent in der Region Dykiti Macedonia? Zufrieden damit, dass mehr als 300.000 Griechen ihr Auto abgemeldet haben, dass das Benzin sehr viel teurer ist als in Deutschland? Dass Eltern ihre Kinder in SOS-Kinderdörfern abgeben, weil sie sie nicht mehr ernähren können? „Das sind die Zustände in Griechenland in diesem Sommer“, sagt Giorgios.
Wieder ist die Zeit fürs Träumen gekommen
Über das Schreiben ist es Ende Oktober geworden. Der erste Herbststurm fegt übers Land. Man muss sich wieder wärmer anziehen. Die ersten Reisekataloge für das kommende Jahr sind eingetroffen, Zeit, wieder Pläne zu schmieden. Wir denken an die Mani und an das, was wir in 2014 haben auslassen müssen. Beeindruckend sind die Höhlen von Pírgos Dirú. In einem Boot fährt man durch die Höhlen und kann die faszinierenden Tropfsteine bestaunen. In Mistras wurde der letzte byzantinische Kaiser gekrönt. Zur Blütezeit des Reichs haben hier 40 000 Menschen gelebt. Der ehemalige Statthalter-Palast ist aus Ruinen wiedererstanden und dient jetzt als kulturelle Begegnungsstätte. Nirgendwo auf dem Peloponnes wird der Glanz byzantinischer Herrlichkeit deutlicher als in den prachtvollen Kirchen. Durch die „Wilde Mani“ bis hinunter zum Kap Taenaron möchten wir noch einmal fahren, vorbei an byzantinischen Kirchlein und Bergdörfern mit ihren Wehrtürmen aus einer Zeit, als die Manioten noch ein besonders kriegerisches Volk waren. Vielleicht lassen wir uns dann von Christoph auch zu einem Bootsausflug zu einsamen Buchten des Golfs von Gythio überreden.
- Ein Reisebericht von SKR Gast Prof. Dr. Wolfgang Hachtel