Reisebericht Pyrenäen
Neun Uhr morgens. Der Himmel blau, die Sonne scheint, es riecht nach Frühling und Süden.
"Endlich Urlaub" denken sicher die Neu-Angekommenen vor dem Bahnhof, so wie ich letzte Woche. Ein Minibus fährt vor, ich sehe das SKR-Schild - jawohl, das ist unserer. Ein braungebranntes, sportliches Paar springt aus dem Bus und kommt auf unsere buntgemischte Rucksack-Gruppe zu: "Bonjour et bienvenu dans les Pyrénées!". Voilà, die beiden sind Eric, unser französischer Bergführer und Andrea, seine deutsche Frau. Ich habe bereits die letzte Woche mit ihnen verbracht und so die Haute Soule in den französischen Pyrenäen entdecken können: ein wunderschöner Landstrich, weitab vom Tourismus, Hüter und Gedächtnis der uralten baskischen Traditionen. Ein Land tiefer Schluchten und alter Pilgerpfade, ein Land, wo die Weiden gerade jetzt im Frühling in der Sonne so leuchtend grün sind, dass ich am liebsten hineingebissen hätte. Und die vielen verschiedenen Bergblumen ... einfach unbeschreiblich die Farben- und Formenvielfalt. Eric's Begeisterung für Flora und Fauna seiner Heimatregion sind gleichsam auf uns übergesprungen. Jetzt kenne ich bestimmt zwanzig Bergblumenarten - und die auch noch auf deutsch und französisch.
Diese Region, von der ich vorher noch nie gehört hatte, hat mich völlig in ihren Bann geschlagen: ein bisschen mysteriös, ist die Haute Soule von einer starken Identität geprägt, die ihre Wurzel in der Jahrtausende alten Geschichte hat. Ich fand es faszinierend, auf den alten alten Pfaden zu wandern, die einst auch die Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela genommen hatten. Oder auch die alten Schäferwege, die seit mehr als 5000 Jahren zu den höher gelegenen Sommeralmen führen. Am meisten haben mir aber die Schmugglerwege gefallen, die uns durch dichte Wälder und über windige Bergkämme auf die spanische Seite geführt haben. Eric hat dann immer, mit leuchtenden Augen, vom alten Nationalsport der Basken erzählt: dem Schmuggel.
Ein wildes und ursprüngliches Land
Selten habe ich ein so wildes, ursprüngliches Land, eine so freizügige, unglaublich grüne Natur erlebt. Und neben den Freuden, diese Natur zu Fuss zu erwandern - und damit meinen Alltag meilenweit hinter mir zu lassen - hab ich so gar noch meine rudimentär vorhandenen Französisch-Kenntnisse auffrischen können. Ha, das wird ein Spaß werden, wenn ich das nächste Mal bei Marie in Paris bin und ihr meine neugelernten französischen Vokabeln um die Ohren hauen kann: Vautour fauve - Gänsegeier, vol nuptial - Hochzeitsflug oder Percnoptère d`Egypte - ägyptischer Schmutzgeier. Damit kann ich sie sicher beeindrucken. Ich hab nach dieser Woche richtig Lust bekommen, mal wieder einen VHS-Kurs oder so etwas zu machen. Dank Andrea's spielerischem, entspannten Sprachtraining während der Woche konnte ich mal so richtig eintauchen in die französische Sprache.
Eingetaucht im wahrsten Sinne des Wortes bin ich abends immer im hoteleigenen Pool. Ach, das war herrlich, nach einer Ganztagswanderung ins kühle Nass zu springen, ein paar Züge zu tun, sich von der Sonne trocknen zu lassen, in der Linken das "Pyrenäen-Buch" von Kurt Tucholsky, in der Rechten den landesüblichen Apéritif: ein Glas kühlen Jurancon-Wein. Und dann der krönende Abschluss jeden Abend: das Diner - ein Drei-Gänge-Menü mit lokalen Spezialitäten wie z.B. Steinpilz-Omelett, Butterforelle oder baskisches Hühnchen und als Nachtisch baskischen Kuchen.
Mmmmh, mir läuft schon wieder das Wasser im Munde zusammen....
In die spanischen Pyrenäen
Ich schwelge in Erinnerungen der letzten Woche und habe gar nicht gemerkt, dass wir schon fast drei Stunden unterwegs sind. Von Pau aus sind wir direkt nach Süden über den Col de Pourtalet gefahren und wollen bis nach Alquézar, Ausgangspunkt für unsere nächste Woche.
Mein Magen knurrt, und als ob Eric es gehört hätte, hält er den Minibus am Rande einer kleinen Strasse. Andrea hat blitzschnell 20 Meter entfernt, am Ufer eines kleinen, spanischen Rio, im Schatten einiger Pinien die Picknickdecke ausgebreitet und bietet allerlei Leckeres an: französische Salami, Oliven, selbstbereitete frische Salate, und natürlich den hervorragenden Bauernkäse aus dem Ossau-Tal.
Die Picknicks sind immer ganz besondere Momente des Zusammen-Seins in der Gruppe. Und Eric hat natürlich auch wieder seinen baskischen Lederbeutel, gefüllt mit leckerem Navarra-Wein, dabei. Jetzt geht es darum, diesen Lederbeutel so elegant wie möglich an den Mund zu führen - ohne ihn jedoch zu berühren - und mit nach hinten geneigten Kopf sich einen Strahl von diesem köstlichen Wein direkt in den Mund zu spritzen. Und dies alles, ohne sich zu bekleckern. Kein leichtes Unterfangen - es wird immer herzlich gelacht dabei. Aber, wir haben ja die ganze Woche Zeit, um diese Kunst zu perfektionieren.
Bei der anschliessenden Siesta nehme ich ganz eindringlich wahr, was Eric und Andrea uns vorhin im Auto erzählt haben: nämlich, dass die Pyrenäen - diese so aussergewöhnliche Cordillera im Süden Europas - eine Klima-Scheide bilden.
Und tatsächlich - nach nur wenigen Kilometern haben wir dieses enorm fruchtbare, grüne Wald- und Weideland der Nordpyrenäen hinter uns gelassen und liegen jetzt hier in einer komplett mediterranen Natur.
Düfte von Lavendel, Rosmarin und Thymian umspielen meine Nase. und auch das Sonnenlicht scheint eine ganz andere Intensität zu haben.
Fast wäre ich eingeschlafen, da ertönt das Signal zur Weiterreise. Noch eine kurze Stunde Fahrt durch diese so veränderte Landschaft, geprägt von roter Erde, silberfarbenen Olivenhainen und blühenden Mandelbäumen. Und nach den letzten kurvenreichen Kilometern erwartet uns dann dieser atemberaubende Blick: Alquézar - Stadt der Mauren und Christen, dieses wunderschöne aragonesische Berg-Steindorf mit seiner majestätischen Stiftskirche, das sich an den Felsen schmiegt.
Im Herzen des Dorfes beziehen wir unsere Zimmer bei Mariano, der gleichzeitig Bürgermeister hier ist. Ich packe aus und ziehe mich um. Ich kann es kaum erwarten, eine erste kleine Entdeckungswanderung zu unternehmen.
Eric hat uns schon so viel von dieser sonst unbekannten Sierra de Guara erzählt, die wir diese Woche entdecken werden.
Nicht nur abwechslungsreiche Wanderungen durch spektakuläre orange-rot-farbene Felsenschluchten und über mediterrane Hochplateaus erwarten uns, sondern auch u.a. Besichtigungen von Höhlenmalereien. Worauf ich mich aber ganz besonders freue, sind die erfrischenden Badefreuden unterwegs. Andrea erzählt uns, dass es herrliche natürliche Badewannen gibt, in den Fels gewaschene Gumpen, die mit kristallklarem, grünen Wasser gefüllt sind. Wie schön, dass ich noch eine Woche Zeit habe, dies alles zu entdecken...
Schon irre, dass man in zwei Wochen zwei so unterschiedliche Regionen so nahe beieinander erleben kann!
Autor:
Andrea Brookmann-Cerdan
vom 05.09.2002